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Joyce hatte sich schon etliche Stunden vorher auf den Weg gemacht. Der Plan war so unauffällig wie möglich durch die Stadt zu schlendern, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihre Klamotten hatten den grauschwarzen Camouflage Look, der gerade so modern war, davon würde also kaum jemand eine Notiz nehmen oder gar die richtigen Schlüsse ziehen. Ihre weißen Lieblingsschuhe durften natürlich nicht fehlen. Es waren Rahmengenähte Combat Boots in Weiß mit 4 Schnallen an der Seite, dicken schwarzen Schnürsenkeln und diversen Metallbeschlägen an der Sohle.
Sie stoppte an einigen Soy-Cafes und schlenderte dann zum Ramen Stand vor der Fabrik. Der Ramen Stand ist seit jeher ein beliebter Anlaufpunkt, beziehungsweise eher ein Zwischenstopp, für sie. Rund um die Uhr geöffnet, aufgrund der Schichtarbeiter in der Fabrik. Das hatte sich über die Jahre natürlich rumgesprochen, deshalb kamen auch immer einige Nachtschwärmer vorbei. Entweder um mal wieder etwas zu essen, was nicht wie der ganze mikrowellenerhitzte Einheitsbrei nur noch einen an Chemie erinnerten Geschmack aufweisen konnte, oder einfach nur um für einige Minuten, es war selten mehr als eine Stunde, nicht ganz allein zu sein. Sie war sich ganz sicher, dass sich, ebenso wie sie auch, einige zwielichtige Gestalten hier trafen um ihre Geschäfte abzuwickeln.
Als ihre Nudeln fertig waren und Chen sie ihr gab erwartete sie der gewohnte und geliebte Anblick. Ihr Essen war ein Augenschmaus. Die glasigen Nudeln und richtig schön große Stücke mageres Schweinefleisch in einer bräunlich-klaren Suppe, garniert mit einem geteilten gekochten Ei und frischem Lauch. Chen hatte Beziehungen zu den Kleinbauern in den flachen Ebenen weit vor der Stadt. Nur so konnte er dieses exquisite Essen überhaupt zaubern. Es hatte sicherlich seinen Preis, aber in der Fabrik wurde gut bezahlt und einmal in der Woche gönnte sich auch ein Maschinenführer dieses Geschmackserlebnis. Für das mittlere und obere Management hatte Chen extra Lieferjungen die das Essen zu den Kunden brachten. Sie bestellen über eine App auf dem Smartphone und sofort popte bei Chen im Trailer die Bestellung auf. Nachts wurde nur selten etwas in die Fabrik geliefert, das Management arbeite erfahrungsgemäß tagsüber.
Sie hatte noch einige Stunden bis es soweit war und sie am Einsatzort sein musste. Aber sie wollte lange genug vor Ort sein, um sich das ideale Versteck suchen zu können.
Sie gab ihre leere Schüssel ab und verabschiedete sich von Chen und schlenderte weiter. Tänzelnd umschiffte sie die Pfützen auf ihren Weg um sich ihre Boots nicht dreckig zu machen. Auch wenn ihre Schuhe von ihr eigens imprägniert waren musste sie es ja nicht darauf ankommen zu lassen. Außerdem wollte sie nicht wie ein Runner aussehen und war deshalb sehr auf Sauberkeit und ihr Äußeres bedacht.
Am Einsatzort angekommen drehte sie einige langsame Runden um die Maglev Station, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Die Station selbst war komplett videoüberwacht, unten auf der Straße wiederum gab es gar keine Überwachung mehr. Die Züge kamen alle 20 Minuten, nach 5 Minuten war die Station wieder menschenleer. Dann blieben ihr gut 15 Minuten, danach kamen schon wieder die ersten Fahrgäste die hier einsteigen wollten. Sie nutze dieses Zeitfenster mehrmals, um einige leere Tonnen und Kisten so unter der Treppe zu drapieren, dass sie als gutes Versteck dienten.
Als alles zu ihrer Zufriedenheit eingerichtet war, zog sie sich zurück in ihr Versteck unter dem großen Erker der leerstehenden Industriebrache aus dem letzten Jahrtausend. Sie hatte sich ein Plätzchen gesucht welches bei den hier herrschenden Lichtbedingungen nicht von außen einzusehen war. Selbst vorbeifahrende Autos leuchteten die U-Förmig ausgebaute Abstützung des Erkers nicht ganz aus. Sie allerdings konnte von hier alles überblicken.
Dies würde ein einfacher Einsatz werden, dachte Joyce sich. Joyce musste an das arme Schwein denken welches sie sich ausgesucht hatten. Horst Meier, mittlerer Angestellter im Bereich IT Security bei Neocron-Rheinmetall. Vor einer Woche schon hatte das Alpha Team ihm sein Sugarbabe unter den Augen weg entführt und ihr den Start der Phase Zwei freigegeben. Joyce hatte nicht viel erklären müssen, Horst war seinem Sugarbabe hörig und würde alles dafür tun sie zurück zu bekommen, mehr als für seine Familie. Die Daten konnten ohne viel Aufwand und Aufhebens von Horst beschafft werden ohne auch nur den Hauch eines Alarms auszulösen.

Horst war nervös und schwitzte, er hatte seine modernen stylishen Outdoor Klamotten an. Er griff sich immer wieder an die Brust, er ertastete jedes Mal den Datenstick den er dort verstaut hatte. Wenn alles gut geht, hat er sein Sugarbabe heute Abend wieder zurück.
Abgemacht war, dass er wartet bis alle Fahrgäste die Station verlassen hatten, 5 Minuten später musste er dann als letzter raus und die Treppe runtergehen.
Joyce wartete auf ihre Lücke. In der nächsten Bahn wäre ihr Zielobjekt. Sie schlich zum Versteck unter der Treppe. Sie wartet entspannt ab als die neuen Fahrgäste für die nächste Bahn kamen. Genauso entspannt wartete sie bis die Fahrgäste die hier ausstiegen die Treppe verlassen hatten. Keinem war aufgefallen, dass sie dort abwartend kauerte.
Horst wurde zu nehmend nervöser, die Oma brauchte anscheinend etwas länger für den Weg aus der Station. Als sie um die Ecke bog blickte er auf die Uhr, noch 5 Minuten, dann würde er losgehen.
Joyce machte eine schnelle Bewegung und schmierte Fett auf die beiden Treppenstufen auf ihrer Augenhöhe und verschwand wieder in ihrem Versteck.
Die 5 Minuten waren um, Horst ging schnellen Schrittes in Richtung Treppe und hastete diese genauso schnell herunter. Auf Mitte der Treppe rutschte er weg, sein Fuß verfing sich und er stürzte vorneüber, er versuchte noch sich wieder zu fangen, aber sein anderer Fuß hatte sich verfangen und er schlug ungebremst auf die Metallstufen auf.
Katzenhaft war Joyce aus ihrem Versteck gekommen als Horst die eingeschmierten Stufen erreichte.
Sein rechter Fuß rutschte gerade weg als sie blitzschnell seine Hosenbeine ergriff und Horst mit den Armen wirbelnd vorne über kippte.
Joyce blickte sich um, es war niemand zu sehen. Sie ging zu Horst der halb auf der Treppe halb auf dem Boden lag und fing an seine Taschen zu untersuchen. Der zweite Griff war gleich der richtige, sie zog den Datenstick aus der Innentasche. Sie blickte sich erneut um, es war immer noch ruhig und menschenleer. Sie holte ihr Lesegerät heraus und steckte den Datenstick ein, fünf Sekunden später gab das Lesegerät grünes Licht. „Das sieht gut aus“ dachte Joyce. Zog ihr Faustmesser und schnitt mit einem schnellem Schnitt Horsts Kehle durch.
Dann setzte sie sich ruhig in Bewegung und verschwand in die Richtung aus der sie gekommen war. Nach zwei Blocks hielt sie inne, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich das Blut von den Boots. Welches sich problemlos entfernen ließ und ihre Schuhe erstrahlten wieder im leuchtendem Weiß.