Samstag, 7. Oktober 2017
Taschengeld
Der Lärm der durch das offene Fenster drang weckte ihn. Die Landschaftsgärtner waren dabei den Bewuchs der letzten Wochen runterzuschneiden. Selbstredend mit einer Motorsense und einem entsprechenden Lärmpegel. Er blickte auf die Uhr, es war acht Uhr dreizig. Das Wetter sah vielversprechend aus. Blauer Himmel durchbrochen durch einige Schäfchenwolken. Die Dame vom Wetterbericht würde „heiter“ dazu sagen. Er schlich ins Bad, verrichtete seine Notdurft und warf sich anschließend etwas Wasser ins Gesicht. Die Katzenwäsche musste fürs erste reichen, zum Duschen war er noch nicht bereit.

Erstmal einen Espresso zum wach werden. Der ritualisierte Vorgang lief ab wie an jedem Morgen. Mit einem Knopfdruck startete er den Mahlvorgang der Kaffeebohnen. An seiner Bezzera Magica spülte er die Düsen und Durchgänge durch bevor er mit der Befüllung anfing und sich den Espresso machte. Mit dem Espresso in der einen Hand und den Zigaretten in der anderen ging er auf die riesige Dachterrasse. Nach dem er mit einem schweifenden Blick die Nachtbarschaft kontrolliert hatte ließ er sich auf das Ledersofa sinken, steckte sich eine Zigarette an und nahm einen kräftigen Zug. Da er wie so oft den Zucker vergessen hatte ging er zurück in die Küche um eben diesen zu holen. Nach einigem rumgerühre trank er den Espresso in einigen kleinen Schlucken aus, zwischendurch immer durch einen Zug an der Zigarette begleitet.

Während er so gelangweilt auf der Terrasse rumdöste überkam ihn der Gedanke mal seine Finanzen zu checken. Da er in der Regel von der Hand in den Mund lebte war es sehr wichtig die aktuelle Finanz-Lage immer im Blick zu behalten. Er arbeitete nur, wenn er wieder seinen Kontostand auffüllen musste. Dann war er einen Tag unterwegs um dann wieder zwei bis drei Monate Ruhe zu haben. Wenn er besonders erfolgreich war konnte er auch schon mal sechs Monate Pause machen.
Die Kieler Woche und das Honky Tonk Kneipenfestival waren für solch erfolgreichen Kneipentouren prädestiniert.Der Kontostand war gerade in den vierstelligen Bereich abgerutscht. Er freute sich ob seines richtigen Riechers genau diesen Zeitpunkt abgepasst zu haben. Das Problem mit der Geldwäsche hatte er damals auch schnell gelöst. Ein Freund überwies ihm das Geld, abzüglich einer Provision von zehn Prozent, auf sein Konto „Beratertätigkeiten“. In dessen diversen Restaurants war es kein Problem solche Summen ohne jegliches Aufsehen unterzubringen.

Er verplemperte den ganzen Tag mit Nichtstun. Zwischendurch war er kurz einkaufen, eigentlich musste er nur raus um Zigaretten zu kaufen und hatte, wenn er schon mal dabei war gleich Lebensmittel eingekauft. Zum späten Nachmittag machte sich langsam fertig. Seine Kleidung war wie immer vornehm leger. Dies gab ihm die Möglichkeit alle Kneipen die er auf seiner Tour besuchen wollte zu betreten ohne viel Aufsehen zu erregen. Da ihn fast jeder Wirt oder Barkeeper kannte und er auch sonst im Nachtleben kein unbekannter war wurde er überall gern gesehen und kannte immer auch diverse Besucher. Eine bessere Tarnung gab es nicht, er war ruhig, charmant und kommunikativ. Ab und zu flirtete er mit Besucherinnen die ihm positiv auffielen.

Er startete seinen „Arbeitstag“ um 18:00 Uhr bei seinem Lieblings-Italiener Toni. Toni begrüßte ihn umschwänglich erkundigte sich nach seinem Befinden und fragte „wie immer?“ Er bestätigte dies und sah wie Toni Kopfnickend nach hinten verschwand. Kurze Zeit später, er hatte gerade seine Zigarette zu Ende geraucht, brachte Toni Vitello Tonnato mit selbstgemachten Brot und scharfen Olivenöl, dazu ein Glas Valpolicella Ripasso. Nach dem Essen setzte sich Toni noch zu ihm und sie redeten eine Weile über das Geschäft und über Italien. Er bestellte die Rechnung. Mit der Rechnung kam noch ein Espresso. Als der Rechnungsbetrag inklusive eines üppigen Trinkgeldes in die dafür vorgesehene Mappe gelegt und der Espresso ausgetrunken war winkte er Toni noch kurz zu und fuhr in die Innenstadt in die erste Kneipe des Tages.
Aus einem ihm unerfindlichen Grund fanden es die Menschen immer noch richtig toll viel Bargeld mit sich rumzutragen. Es ist vermutlich ein erhebendes Gefühl die Flaschen Bollinger mit entsprechend viel Bargeld zu bezahlen. Ihm sollte es recht sein, besser konnte er das schnelle Geld nicht einsammeln.
Er startete in den Lokalen deren Klientel nicht sonderlich gut betucht war, „Kleinvieh macht auch Mist“ dachte er sich dabei immer. Von diesen Lokalen gab es auch deutlich mehr und er konnte sich hier, auch ohne außerordentlich sorgsam zu sein, betätigen. Anschließend ging es die Läden die er persönlich als Schickimicki abhackte. Hier hielt sich jeder für den ganz tollen Hecht oder wollte sich entsprechend einen solchen angeln. Allerdings muss man dazusagen, dass sich in den letzten Jahren auch hier der Feminismus durchgesetzt hatte, gutbetuchte Damen waren genauso auf der Jagd nach Boytoys wie die Herren nach Sugarbabes. An einer ernsthaften Beziehung waren die Jäger und Jägerinnen selten interessiert. Die Geschichten die über entsprechende zustande gekommene Beziehungen ständig die Runde machten waren vermutlich gezielt gestreut um den Anteil an Jagdbarem Material konstant zu halten, zumindest ging er fest davon aus. Abschließend und zu weit fortgeschrittener Stunde ging es in die zwei bis drei Etablissements wo die wirklich Reichen und Schönen sich trafen. Gemessen am Aufwand machte er hier den größten Gewinn, immerhin ca. 50% der Tageseinnahmen. Hier war allerdings auch besondere Vorsicht geboten denn die Lokalitäten waren längst nicht so voll und unübersichtlich wie die der vorherigen Kategorien.
Sein Vorgehen war bei allen drei Kategorien gleich. Seine Fingerfertigkeit hatte er bis aufs höchste trainiert um dieses Vorgehen einsetzen zu können. Das Zielobjekt war immer Bargeld nur in den seltensten Fällen und auf Bestellung auch Schmuck oder sehr teure Uhren. Für den Schmuck und die Uhren die er über einen Kontakt in die Unterwelt verkaufte bekam er neben Bargeld auch Falschgeld. Dass er auch Falschgeld erhielt war seine eigene Forderung.
Schließlich spielte Falschgeld in seiner Taktik eine wichtige Rolle. Während er in seiner Anfangszeit immer komplette Portemonnaies entwendet hatte, welche er wegwarf nachdem er das Bargeld entnommen hatte, war er relativ schnell dazu übergegangen nur einen Teil des Bargeldes zu entwenden und den Rest unangetastet zu lassen. Jegliche Form von „Plastikgeld“ ließ er links liegen. Wenn zu Hauf ganze Portemonnaies verschwinden fällt das schnell auf und ruft entsprechend fix die Ordnungshüter auf den Plan.
Einmal wäre fast eine Sonderkommission gegründet worden um den Anstieg der Diebstähle auf die Schliche zu kommen. Dieses Vorhaben wurde mit Hinweis auf mutmaßliche Banden organisierter Diebe mit Migrationshintergrund fallen gelassen und als „Einzelfall“ zu den Akten gelegt.
Wenn man nur Teile des vorhandenen Bargeldes entnimmt hat dies den Vorteil, dass entweder die betroffenen es gar nicht merken oder es zwar merken aber denken sie hätten es ausgegeben oder verloren, beides ist bei einem angeheiterten Abend durchaus möglich und üblich.
Einmal hatte er eine Rechnung angestellt wie oft er zugegriffen hatte an einem Abend. Lokale der Kategorie 1: 20€ im Schnitt, nie mehr als 50€. Kategorie 2: 50€ im Schnitt nie mehr als 100€. Kategorie 3: 200 -500€ im Schnitt. Der jeweilige Durchschnitt gilt immer es sei denn das Zielobjekt hat sehr viel Geld dabei. Bei sehr viel Geld wird meist erst am nächsten Tag nachgezählt wie viel noch übrig ist nach der letzten Nacht. Er war auf ca. 350 „Zugriffe“ gekommen. Das hört sich für einen Außenstehenden nach sehr viel an aber wenn man bedenkt, dass der eigentliche „Zugriff“ nie länger als 2 Sekunden dauert ist das von den acht bis zehn Stunden die seine Kneipentouren in der Regel dauern nicht sehr viel Zeit. Einmal hatte er auf dem Weg von der Bar zur Toilette acht Mal zugegriffen, fünf Mal auf dem Hinweg und drei Mal auf dem Rückweg. Der Weg war entsprechend lang und der Laden gerammelt voll. Ab und zu steckte er anstatt des entwendeten Geldes etwas Falschgeld wieder in das Portemonnaie zurück. Dies sorgte an der Bar dann auch immer für Aufregung und die Leute hatten plötzlich ganz andere Sorgen als sich zu wundern wo ihr zwanziger geblieben ist.

Er hatte alle „Kneipen“ für heute erfolgreich abgearbeitet. Sein Tagesabschluss fiel auf die Bar Curio Parlour. Dort traf er, wie schon vermutet, wieder auf Isabell. Isabell war Stammkunde im Curio Parlour. Er flirtete und plauderte ein bisschen mit ihr, wie jedesmal. Gearbeitet wurde hier nicht, hier entspannte er sich und trank noch ein zwei Drinks um runterzukommen. Um fünf Uhr war sein „Arbeitstag“ beendet und eine erfolgreiche Kneipentour lag hinter ihm. Er nahm sich ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren. Dort angekommen legte er seinen Ertrag in den Bodensafe, ging duschen und ins Bett.
Gegen Mittag wurde er wach und startete seinen Tag mit dem gleichem Ritual wie immer, Espresso und Zigarette auf der Terrasse. Anders war nach einer Kneipentour nur die Begutachtung des Ertrages vom Vortag. Diesmal waren es dreiundzwanzigtaused Euro und eine „Urwerk SATELLITE“. Er hätte nicht gedacht, dass ihm sowas je unter die Finger kommen würde. Die besondere Uhr hatte er einem angetrunkenen Gast, auf dem Weg nach draußen, entwendet. Dieser Verlust würde diesem auf jedem Fall auffallen. Erst hatte er überlegt die „Ur“ selbst zu behalten aber solch ein auffälliges Stück ließe sich von ihm nicht wirklich tragen ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Auch ohne eine Bestellung würde sein Unterweltkontakt ein solches Stück spielen wieder an den Mann bringen können.
Er packte das Geld in die Sicherheitstasche, gegen fünfzehn Uhr kam der Kurier um diese abzuholen. Die Ur ging zurück in den Safe, er würde sie noch eine Weile behalten bevor er sie seinem Dealer anbot. Vielleicht würde der Besitzer ja gegen einen entsprechenden Finderlohn auch einen Privatdetektiv mit der Wiederbeschaffung beauftragen. Immerhin waren achtzigtausend Euro eine Menge Geld und die guten Privatdetektive kannte er alle. Zufrieden ließ er sich zurück in das Ledersofa fallen und zog genüsslich an der Zigarette.