Samstag, 7. Oktober 2017
Taschengeld
Der Lärm der durch das offene Fenster drang weckte ihn. Die Landschaftsgärtner waren dabei den Bewuchs der letzten Wochen runterzuschneiden. Selbstredend mit einer Motorsense und einem entsprechenden Lärmpegel. Er blickte auf die Uhr, es war acht Uhr dreizig. Das Wetter sah vielversprechend aus. Blauer Himmel durchbrochen durch einige Schäfchenwolken. Die Dame vom Wetterbericht würde „heiter“ dazu sagen. Er schlich ins Bad, verrichtete seine Notdurft und warf sich anschließend etwas Wasser ins Gesicht. Die Katzenwäsche musste fürs erste reichen, zum Duschen war er noch nicht bereit.

Erstmal einen Espresso zum wach werden. Der ritualisierte Vorgang lief ab wie an jedem Morgen. Mit einem Knopfdruck startete er den Mahlvorgang der Kaffeebohnen. An seiner Bezzera Magica spülte er die Düsen und Durchgänge durch bevor er mit der Befüllung anfing und sich den Espresso machte. Mit dem Espresso in der einen Hand und den Zigaretten in der anderen ging er auf die riesige Dachterrasse. Nach dem er mit einem schweifenden Blick die Nachtbarschaft kontrolliert hatte ließ er sich auf das Ledersofa sinken, steckte sich eine Zigarette an und nahm einen kräftigen Zug. Da er wie so oft den Zucker vergessen hatte ging er zurück in die Küche um eben diesen zu holen. Nach einigem rumgerühre trank er den Espresso in einigen kleinen Schlucken aus, zwischendurch immer durch einen Zug an der Zigarette begleitet.

Während er so gelangweilt auf der Terrasse rumdöste überkam ihn der Gedanke mal seine Finanzen zu checken. Da er in der Regel von der Hand in den Mund lebte war es sehr wichtig die aktuelle Finanz-Lage immer im Blick zu behalten. Er arbeitete nur, wenn er wieder seinen Kontostand auffüllen musste. Dann war er einen Tag unterwegs um dann wieder zwei bis drei Monate Ruhe zu haben. Wenn er besonders erfolgreich war konnte er auch schon mal sechs Monate Pause machen.
Die Kieler Woche und das Honky Tonk Kneipenfestival waren für solch erfolgreichen Kneipentouren prädestiniert.Der Kontostand war gerade in den vierstelligen Bereich abgerutscht. Er freute sich ob seines richtigen Riechers genau diesen Zeitpunkt abgepasst zu haben. Das Problem mit der Geldwäsche hatte er damals auch schnell gelöst. Ein Freund überwies ihm das Geld, abzüglich einer Provision von zehn Prozent, auf sein Konto „Beratertätigkeiten“. In dessen diversen Restaurants war es kein Problem solche Summen ohne jegliches Aufsehen unterzubringen.

Er verplemperte den ganzen Tag mit Nichtstun. Zwischendurch war er kurz einkaufen, eigentlich musste er nur raus um Zigaretten zu kaufen und hatte, wenn er schon mal dabei war gleich Lebensmittel eingekauft. Zum späten Nachmittag machte sich langsam fertig. Seine Kleidung war wie immer vornehm leger. Dies gab ihm die Möglichkeit alle Kneipen die er auf seiner Tour besuchen wollte zu betreten ohne viel Aufsehen zu erregen. Da ihn fast jeder Wirt oder Barkeeper kannte und er auch sonst im Nachtleben kein unbekannter war wurde er überall gern gesehen und kannte immer auch diverse Besucher. Eine bessere Tarnung gab es nicht, er war ruhig, charmant und kommunikativ. Ab und zu flirtete er mit Besucherinnen die ihm positiv auffielen.

Er startete seinen „Arbeitstag“ um 18:00 Uhr bei seinem Lieblings-Italiener Toni. Toni begrüßte ihn umschwänglich erkundigte sich nach seinem Befinden und fragte „wie immer?“ Er bestätigte dies und sah wie Toni Kopfnickend nach hinten verschwand. Kurze Zeit später, er hatte gerade seine Zigarette zu Ende geraucht, brachte Toni Vitello Tonnato mit selbstgemachten Brot und scharfen Olivenöl, dazu ein Glas Valpolicella Ripasso. Nach dem Essen setzte sich Toni noch zu ihm und sie redeten eine Weile über das Geschäft und über Italien. Er bestellte die Rechnung. Mit der Rechnung kam noch ein Espresso. Als der Rechnungsbetrag inklusive eines üppigen Trinkgeldes in die dafür vorgesehene Mappe gelegt und der Espresso ausgetrunken war winkte er Toni noch kurz zu und fuhr in die Innenstadt in die erste Kneipe des Tages.
Aus einem ihm unerfindlichen Grund fanden es die Menschen immer noch richtig toll viel Bargeld mit sich rumzutragen. Es ist vermutlich ein erhebendes Gefühl die Flaschen Bollinger mit entsprechend viel Bargeld zu bezahlen. Ihm sollte es recht sein, besser konnte er das schnelle Geld nicht einsammeln.
Er startete in den Lokalen deren Klientel nicht sonderlich gut betucht war, „Kleinvieh macht auch Mist“ dachte er sich dabei immer. Von diesen Lokalen gab es auch deutlich mehr und er konnte sich hier, auch ohne außerordentlich sorgsam zu sein, betätigen. Anschließend ging es die Läden die er persönlich als Schickimicki abhackte. Hier hielt sich jeder für den ganz tollen Hecht oder wollte sich entsprechend einen solchen angeln. Allerdings muss man dazusagen, dass sich in den letzten Jahren auch hier der Feminismus durchgesetzt hatte, gutbetuchte Damen waren genauso auf der Jagd nach Boytoys wie die Herren nach Sugarbabes. An einer ernsthaften Beziehung waren die Jäger und Jägerinnen selten interessiert. Die Geschichten die über entsprechende zustande gekommene Beziehungen ständig die Runde machten waren vermutlich gezielt gestreut um den Anteil an Jagdbarem Material konstant zu halten, zumindest ging er fest davon aus. Abschließend und zu weit fortgeschrittener Stunde ging es in die zwei bis drei Etablissements wo die wirklich Reichen und Schönen sich trafen. Gemessen am Aufwand machte er hier den größten Gewinn, immerhin ca. 50% der Tageseinnahmen. Hier war allerdings auch besondere Vorsicht geboten denn die Lokalitäten waren längst nicht so voll und unübersichtlich wie die der vorherigen Kategorien.
Sein Vorgehen war bei allen drei Kategorien gleich. Seine Fingerfertigkeit hatte er bis aufs höchste trainiert um dieses Vorgehen einsetzen zu können. Das Zielobjekt war immer Bargeld nur in den seltensten Fällen und auf Bestellung auch Schmuck oder sehr teure Uhren. Für den Schmuck und die Uhren die er über einen Kontakt in die Unterwelt verkaufte bekam er neben Bargeld auch Falschgeld. Dass er auch Falschgeld erhielt war seine eigene Forderung.
Schließlich spielte Falschgeld in seiner Taktik eine wichtige Rolle. Während er in seiner Anfangszeit immer komplette Portemonnaies entwendet hatte, welche er wegwarf nachdem er das Bargeld entnommen hatte, war er relativ schnell dazu übergegangen nur einen Teil des Bargeldes zu entwenden und den Rest unangetastet zu lassen. Jegliche Form von „Plastikgeld“ ließ er links liegen. Wenn zu Hauf ganze Portemonnaies verschwinden fällt das schnell auf und ruft entsprechend fix die Ordnungshüter auf den Plan.
Einmal wäre fast eine Sonderkommission gegründet worden um den Anstieg der Diebstähle auf die Schliche zu kommen. Dieses Vorhaben wurde mit Hinweis auf mutmaßliche Banden organisierter Diebe mit Migrationshintergrund fallen gelassen und als „Einzelfall“ zu den Akten gelegt.
Wenn man nur Teile des vorhandenen Bargeldes entnimmt hat dies den Vorteil, dass entweder die betroffenen es gar nicht merken oder es zwar merken aber denken sie hätten es ausgegeben oder verloren, beides ist bei einem angeheiterten Abend durchaus möglich und üblich.
Einmal hatte er eine Rechnung angestellt wie oft er zugegriffen hatte an einem Abend. Lokale der Kategorie 1: 20€ im Schnitt, nie mehr als 50€. Kategorie 2: 50€ im Schnitt nie mehr als 100€. Kategorie 3: 200 -500€ im Schnitt. Der jeweilige Durchschnitt gilt immer es sei denn das Zielobjekt hat sehr viel Geld dabei. Bei sehr viel Geld wird meist erst am nächsten Tag nachgezählt wie viel noch übrig ist nach der letzten Nacht. Er war auf ca. 350 „Zugriffe“ gekommen. Das hört sich für einen Außenstehenden nach sehr viel an aber wenn man bedenkt, dass der eigentliche „Zugriff“ nie länger als 2 Sekunden dauert ist das von den acht bis zehn Stunden die seine Kneipentouren in der Regel dauern nicht sehr viel Zeit. Einmal hatte er auf dem Weg von der Bar zur Toilette acht Mal zugegriffen, fünf Mal auf dem Hinweg und drei Mal auf dem Rückweg. Der Weg war entsprechend lang und der Laden gerammelt voll. Ab und zu steckte er anstatt des entwendeten Geldes etwas Falschgeld wieder in das Portemonnaie zurück. Dies sorgte an der Bar dann auch immer für Aufregung und die Leute hatten plötzlich ganz andere Sorgen als sich zu wundern wo ihr zwanziger geblieben ist.

Er hatte alle „Kneipen“ für heute erfolgreich abgearbeitet. Sein Tagesabschluss fiel auf die Bar Curio Parlour. Dort traf er, wie schon vermutet, wieder auf Isabell. Isabell war Stammkunde im Curio Parlour. Er flirtete und plauderte ein bisschen mit ihr, wie jedesmal. Gearbeitet wurde hier nicht, hier entspannte er sich und trank noch ein zwei Drinks um runterzukommen. Um fünf Uhr war sein „Arbeitstag“ beendet und eine erfolgreiche Kneipentour lag hinter ihm. Er nahm sich ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren. Dort angekommen legte er seinen Ertrag in den Bodensafe, ging duschen und ins Bett.
Gegen Mittag wurde er wach und startete seinen Tag mit dem gleichem Ritual wie immer, Espresso und Zigarette auf der Terrasse. Anders war nach einer Kneipentour nur die Begutachtung des Ertrages vom Vortag. Diesmal waren es dreiundzwanzigtaused Euro und eine „Urwerk SATELLITE“. Er hätte nicht gedacht, dass ihm sowas je unter die Finger kommen würde. Die besondere Uhr hatte er einem angetrunkenen Gast, auf dem Weg nach draußen, entwendet. Dieser Verlust würde diesem auf jedem Fall auffallen. Erst hatte er überlegt die „Ur“ selbst zu behalten aber solch ein auffälliges Stück ließe sich von ihm nicht wirklich tragen ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Auch ohne eine Bestellung würde sein Unterweltkontakt ein solches Stück spielen wieder an den Mann bringen können.
Er packte das Geld in die Sicherheitstasche, gegen fünfzehn Uhr kam der Kurier um diese abzuholen. Die Ur ging zurück in den Safe, er würde sie noch eine Weile behalten bevor er sie seinem Dealer anbot. Vielleicht würde der Besitzer ja gegen einen entsprechenden Finderlohn auch einen Privatdetektiv mit der Wiederbeschaffung beauftragen. Immerhin waren achtzigtausend Euro eine Menge Geld und die guten Privatdetektive kannte er alle. Zufrieden ließ er sich zurück in das Ledersofa fallen und zog genüsslich an der Zigarette.




Donnerstag, 6. Juli 2017
M.391-C7
Joyce hatte sich schon etliche Stunden vorher auf den Weg gemacht. Der Plan war so unauffällig wie möglich durch die Stadt zu schlendern, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihre Klamotten hatten den grauschwarzen Camouflage Look, der gerade so modern war, davon würde also kaum jemand eine Notiz nehmen oder gar die richtigen Schlüsse ziehen. Ihre weißen Lieblingsschuhe durften natürlich nicht fehlen. Es waren Rahmengenähte Combat Boots in Weiß mit 4 Schnallen an der Seite, dicken schwarzen Schnürsenkeln und diversen Metallbeschlägen an der Sohle.
Sie stoppte an einigen Soy-Cafes und schlenderte dann zum Ramen Stand vor der Fabrik. Der Ramen Stand ist seit jeher ein beliebter Anlaufpunkt, beziehungsweise eher ein Zwischenstopp, für sie. Rund um die Uhr geöffnet, aufgrund der Schichtarbeiter in der Fabrik. Das hatte sich über die Jahre natürlich rumgesprochen, deshalb kamen auch immer einige Nachtschwärmer vorbei. Entweder um mal wieder etwas zu essen, was nicht wie der ganze mikrowellenerhitzte Einheitsbrei nur noch einen an Chemie erinnerten Geschmack aufweisen konnte, oder einfach nur um für einige Minuten, es war selten mehr als eine Stunde, nicht ganz allein zu sein. Sie war sich ganz sicher, dass sich, ebenso wie sie auch, einige zwielichtige Gestalten hier trafen um ihre Geschäfte abzuwickeln.
Als ihre Nudeln fertig waren und Chen sie ihr gab erwartete sie der gewohnte und geliebte Anblick. Ihr Essen war ein Augenschmaus. Die glasigen Nudeln und richtig schön große Stücke mageres Schweinefleisch in einer bräunlich-klaren Suppe, garniert mit einem geteilten gekochten Ei und frischem Lauch. Chen hatte Beziehungen zu den Kleinbauern in den flachen Ebenen weit vor der Stadt. Nur so konnte er dieses exquisite Essen überhaupt zaubern. Es hatte sicherlich seinen Preis, aber in der Fabrik wurde gut bezahlt und einmal in der Woche gönnte sich auch ein Maschinenführer dieses Geschmackserlebnis. Für das mittlere und obere Management hatte Chen extra Lieferjungen die das Essen zu den Kunden brachten. Sie bestellen über eine App auf dem Smartphone und sofort popte bei Chen im Trailer die Bestellung auf. Nachts wurde nur selten etwas in die Fabrik geliefert, das Management arbeite erfahrungsgemäß tagsüber.
Sie hatte noch einige Stunden bis es soweit war und sie am Einsatzort sein musste. Aber sie wollte lange genug vor Ort sein, um sich das ideale Versteck suchen zu können.
Sie gab ihre leere Schüssel ab und verabschiedete sich von Chen und schlenderte weiter. Tänzelnd umschiffte sie die Pfützen auf ihren Weg um sich ihre Boots nicht dreckig zu machen. Auch wenn ihre Schuhe von ihr eigens imprägniert waren musste sie es ja nicht darauf ankommen zu lassen. Außerdem wollte sie nicht wie ein Runner aussehen und war deshalb sehr auf Sauberkeit und ihr Äußeres bedacht.
Am Einsatzort angekommen drehte sie einige langsame Runden um die Maglev Station, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Die Station selbst war komplett videoüberwacht, unten auf der Straße wiederum gab es gar keine Überwachung mehr. Die Züge kamen alle 20 Minuten, nach 5 Minuten war die Station wieder menschenleer. Dann blieben ihr gut 15 Minuten, danach kamen schon wieder die ersten Fahrgäste die hier einsteigen wollten. Sie nutze dieses Zeitfenster mehrmals, um einige leere Tonnen und Kisten so unter der Treppe zu drapieren, dass sie als gutes Versteck dienten.
Als alles zu ihrer Zufriedenheit eingerichtet war, zog sie sich zurück in ihr Versteck unter dem großen Erker der leerstehenden Industriebrache aus dem letzten Jahrtausend. Sie hatte sich ein Plätzchen gesucht welches bei den hier herrschenden Lichtbedingungen nicht von außen einzusehen war. Selbst vorbeifahrende Autos leuchteten die U-Förmig ausgebaute Abstützung des Erkers nicht ganz aus. Sie allerdings konnte von hier alles überblicken.
Dies würde ein einfacher Einsatz werden, dachte Joyce sich. Joyce musste an das arme Schwein denken welches sie sich ausgesucht hatten. Horst Meier, mittlerer Angestellter im Bereich IT Security bei Neocron-Rheinmetall. Vor einer Woche schon hatte das Alpha Team ihm sein Sugarbabe unter den Augen weg entführt und ihr den Start der Phase Zwei freigegeben. Joyce hatte nicht viel erklären müssen, Horst war seinem Sugarbabe hörig und würde alles dafür tun sie zurück zu bekommen, mehr als für seine Familie. Die Daten konnten ohne viel Aufwand und Aufhebens von Horst beschafft werden ohne auch nur den Hauch eines Alarms auszulösen.

Horst war nervös und schwitzte, er hatte seine modernen stylishen Outdoor Klamotten an. Er griff sich immer wieder an die Brust, er ertastete jedes Mal den Datenstick den er dort verstaut hatte. Wenn alles gut geht, hat er sein Sugarbabe heute Abend wieder zurück.
Abgemacht war, dass er wartet bis alle Fahrgäste die Station verlassen hatten, 5 Minuten später musste er dann als letzter raus und die Treppe runtergehen.
Joyce wartete auf ihre Lücke. In der nächsten Bahn wäre ihr Zielobjekt. Sie schlich zum Versteck unter der Treppe. Sie wartet entspannt ab als die neuen Fahrgäste für die nächste Bahn kamen. Genauso entspannt wartete sie bis die Fahrgäste die hier ausstiegen die Treppe verlassen hatten. Keinem war aufgefallen, dass sie dort abwartend kauerte.
Horst wurde zu nehmend nervöser, die Oma brauchte anscheinend etwas länger für den Weg aus der Station. Als sie um die Ecke bog blickte er auf die Uhr, noch 5 Minuten, dann würde er losgehen.
Joyce machte eine schnelle Bewegung und schmierte Fett auf die beiden Treppenstufen auf ihrer Augenhöhe und verschwand wieder in ihrem Versteck.
Die 5 Minuten waren um, Horst ging schnellen Schrittes in Richtung Treppe und hastete diese genauso schnell herunter. Auf Mitte der Treppe rutschte er weg, sein Fuß verfing sich und er stürzte vorneüber, er versuchte noch sich wieder zu fangen, aber sein anderer Fuß hatte sich verfangen und er schlug ungebremst auf die Metallstufen auf.
Katzenhaft war Joyce aus ihrem Versteck gekommen als Horst die eingeschmierten Stufen erreichte.
Sein rechter Fuß rutschte gerade weg als sie blitzschnell seine Hosenbeine ergriff und Horst mit den Armen wirbelnd vorne über kippte.
Joyce blickte sich um, es war niemand zu sehen. Sie ging zu Horst der halb auf der Treppe halb auf dem Boden lag und fing an seine Taschen zu untersuchen. Der zweite Griff war gleich der richtige, sie zog den Datenstick aus der Innentasche. Sie blickte sich erneut um, es war immer noch ruhig und menschenleer. Sie holte ihr Lesegerät heraus und steckte den Datenstick ein, fünf Sekunden später gab das Lesegerät grünes Licht. „Das sieht gut aus“ dachte Joyce. Zog ihr Faustmesser und schnitt mit einem schnellem Schnitt Horsts Kehle durch.
Dann setzte sie sich ruhig in Bewegung und verschwand in die Richtung aus der sie gekommen war. Nach zwei Blocks hielt sie inne, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich das Blut von den Boots. Welches sich problemlos entfernen ließ und ihre Schuhe erstrahlten wieder im leuchtendem Weiß.





Montag, 5. Juni 2017
Valentinstag
Steffi wusste gleich, dass etwas nicht stimmt. Lena war anders als sonst, es war kaum wahrzunehmen, eigentlich benahm sie sich wie sonst auch aber sie war irgendwie reserviert so weit weg. Steffi hatte diese Veränderung schon nach wenigen Augenblicken wahrgenommen. Völlig untypisch war diese Ungeduld die Lena ausstrahlte. Ein kurzer Kuss auf die Wange und schon wurde Steffi zart aber doch bestimmt durch die Tür ins Cafe geschoben.
Normaler Weise hatten sie sich Zuhause bei Lena immer einen schönen Tag gemacht, hatten zusammen gekocht, hatten eine besondere Flasche Wein geöffnet z.B. den Grand Cru Classé den sie selbst zusammen in Saint-Émilion gekauft hatten, haben auf dem Sofa zusammen gekuschelt und sich einem schönen Film angesehen. Doch diesmal wollte sich Lena mit ihr am Cafe treffen. Sie setzen sich an den kleinen Tisch in der Mitte. Steffi bestellte einen Chai Latte. Lena einen Minztee aus frischer Minze und rührte lieblos darin herum.

"Ich habe jemanden kennen gelernt" sagte Lena, ganz ruhig, so beiläufig als wenn sie über das Wetter reden würde. Steffi traf es wie ein Schlag, Lena macht Schluss!
Lena sprach weiter aber Steffi hörte nichts mehr. Da war nur noch Leere. Ihre Gedanken überschlugen sich, dann schweiften Sie ab. Ihre Blicke irrten zweifelnd und nach Erklärung suchend in dem kleinen Cafe umher und trafen auf den runden Tisch in der Ecke.
Das Pärchen welches dort saß schien so gar nicht zusammen zu passen, er im Hemd in einem hellen violett, dunkler Anzug, langer moderner Mantel, beides Maßgeschneidert das sah man sofort und schicke Schuhe. Im ersten Moment würde man Bank oder Versicherung denken. Doch irgendetwas passte nicht zu diesem Klischee, es war die Art wie er sich gab dieses Selbstverständnis vor Selbstbewusstsein nur so strotzend und dabei total zurückhaltend, völlig unaufdringlich. Sie flippig sportlich eine aufgeschlossene offene Art die jeden sofort einnahm und keinen Raum für etwas anderes als Sympathie offen ließ. Die beiden unterhielten sich angeregt. Jeder schenkte seinem Gegenüber die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Steffi fragte sich warum sie sich darüber so viel Gedanken mache sonst ist das nicht ihre Art. Ihr war durchaus bewusst warum, sie musste weg weit weg mit ihren Gedanken, am liebsten wäre sie einfach aufgestanden und weggelaufen aber dazu fehlte ihr die Entschlossenheit. So ließ sie wenigstens ihre Gedanken weglaufen, so gut es ging und so weit weg wie irgend möglich.

„Ich habe mich verliebt“ sagte Lena. auf einmal war Steffi wieder im hier und jetzt. Dieses Unverständnis, Steffi konnte und wollte es nicht begreifen, am Valentinstag, wer macht so was? Steffis Blick fiel auf den Typen am Tresen. Er war ihr schon des Öfteren aufgefallen wenn sie mit Lena hier war aber sie hatte ihm bisher keinerlei Beachtung geschenkt. Er hatte immer ein Buch dabei und las. Er sah runtergekommen aus und schien seinem Äußeren keinerlei Beachtung zu schenken. Die Jacke war speckig und die Hose aufgetragen zu allem Überfluss trug er noch einen zerschlissenen Norwegerpulli. Kaffee schwarz und ein Glass Wasser mehr trank er nie das wusste sie noch. Irgendjemand hatte mal erzählt er wäre studierter Philosoph und hätte schon einige Bücher geschrieben. Steffi projizierte ihre Leere auf ihn. Sie dachte genau so muss er sich immer fühlen, leer, verlassen, allein.


Sie hätte nicht viel Zeit aber sie wollte es persönlich machen, bevor sie nach Hause fährt um mit IHR den Valentinstag zu verbringen sagte Lena. Nicht diese Formulierung aber das war der Inhalt der Worte die über Ihre Lippen kamen. Diese vollen zartrosa leuchtenden Lippen. Die lange Haarsträne hing Lena quer durch das Gesicht und berührte leicht ihrem Mundwinkel. Steffi war schon fast wieder woanders sie hörte nur noch Wortfetzen, Ausflug, Schwerin, Ludwigslust. Sie blinzelte sich die Tränen weg. Steffi zitterte, vermutlich von den anderen Gästen im Cafe kaum bemerkbar, am ganzen Körper ihr schluchzen unterdrückend.

Steffi trug den schwarzen Cashmere-Pullover den Lena ihr vor zwei Jahren im Spätsommer eines Abends geschenkt hatte. Einfach so, aus dem nichts, ohne besonderen Grund oder Anlass. Steffi wusste es noch als wäre es Gestern gewesen. Sie waren auf Lenas Dachterrasse, Lena hatte ihr die Augen verbunden ihr das T-Shirt über den Kopf gezogen und den BH abgenommen. Steffi stand damals völlig neben sich, schwankte zwischen Verwirrung und Erregung. Dann hatte Lena ihr den Pulli angezogen, dieses herrlich weiche anschmiegsame Gefühl auf der Haut war kaum zu beschreiben. Seither trug sie nichts drunter wenn sie diesen Pulli trug.

„Du sagst ja gar nichts“ sagte Lena "ist alles in Ordnung?". Steffi wollte am liebsten laut los schreien, so laut es ging, einfach dieses Gefühl der völligen Leere weg schreien. Ob alles in Ordnung wäre, was denkt sie denn? Ein leises "Warum?" mehr brachte Steffi nicht heraus. In ihrem Blick das pure Unverständnis gepaart mit einer tiefen Enttäuschung und dieser unsagbaren Leere.

Lena begann eine lange Erklärung, redete eine ganze Weile und streichelte nebenbei zart Steffis Oberarm. Steffi war schon wieder weg. Ihre Gedanken waren in der Nacht nachdem sie den Cashmere-Pullover von Lena bekam. Diese unvergessliche Nacht, Lena zeigte ihr was es bedeutet Grenzen zu überschreiten, sich ganz der Lust hinzugeben und sich im Gefühlstaumel treiben zu lassen. Danach war Steffi nicht mehr die Selbe sie war mehr so viel mehr. Lena war ihr Lebenssinn. Nie wäre Steffi auch nur auf den Hauch eines Gedanken gekommen es könnte irgendwann vorbei sein.

„Ich muss los.“ sagte Lena küsste Steffi auf die Wange ging zum Tresen, zahlte und verließ das Cafe.